Mesut Özil hat mit seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft und der Kritik an DFB-Präsident Reinhard Grindel heftige und kontroverse Diskussionen ausgelöst. Der gebürtige Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln, der noch 2014 als Fußball-Weltmeister in den Himmel gehoben wurde, fühlt sich – sinngemäß – als Deutscher zweiter Klasse. „In den Augen von Grindel und seinen Anhängern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen. Aber ich werde als Einwanderer wahrgenommen, wenn wir verlieren“, sagt der Fußball-Profi.
Mesut Özil hatte einst bei Rot-Weiss Essen in der Jugend gespielt (2000-2005). Und von ihm hat der Regionalligist auch danach ordentlich profitiert. Aufgrund der Fifa-Statuten partizipierten die Essener als Ausbildungsverein an den Transfersummen des Weltstars. Knapp eine Million Euro flossen dadurch in die Essener Vereinskasse. Und als RWE vor einem Jahr den 110. Geburtstag feierte, schickte Mesut Özil eine Videobotschaft: „Ich wünsche Rot-Weiss Essen alles Gute zum 110. Geburtstag. Ich hatte fünf wunderbare Jahre an der Hafenstraße“.
Diskriminierung und Rassismus? Keine Spur. Der RWE-Vorsitzende Marcus Uhlig antwortete gestern zum Özil-Thema befragt nur lapidar: „Bei uns funktioniert Integration.“ Mehr wolle er zu dem Fall auch gar nicht sagen. Nur so viel noch: „Es ist in meinen Augen ein Beispiel für schlechte Kommunikation und schlechtes Krisenmanagement auf beiden Seiten, von Özil und dem DFB.“
Schlechte Kommunikation und schlechtes Krisenmanagement
Die Rot-Weissen veranstalten einmal im Jahr an der Hafenstraße einen bunten Integrationstag. Und ein Blick auf die Mannschaftsbilder im Nachwuchsbereich lässt ebenfalls keine Zweifel an einer funktionierenden Eingliederung. Die U19 und die U17 sind im vergangenen Saison in die Junioren-Bundesliga zurückgekehrt. Und die Namen der erfolgreichen Jungs verraten, dass ungefähr die Hälfte der Spieler in den jeweiligen Teams einen Migrationshintergrund hat. „Diese Bilanz ist sogar noch halbwegs ausgeglichen, sie war auch schon mal ausgeprägter“, sagt Enrico Schleinitz, Leiter des RWE-Nachwuchsleistungszentrums an der Seumannstraße.
„Integration ist ein schönes Wort, aber allein schon, wenn man es benutzen muss, macht man etwas falsch“, findet Schleinitz. „Wenn wir einen Spieler zum Probetraining einladen, spielt das keine Rolle, woher er kommt, welche Sprache er spricht oder welche Hautfarbe er hat.“ Auch den Jungs sei das völlig egal. „Man ist ein Teil der Mannschaft. Die Herkunft wird doch erst zum Thema, wenn es von außen herangetragen wird.“
Auf dem sportlichen Niveau, auf dem Rot-Weiss um Punkte kämpft, gelte ausschließlich der Leistungsgedanke und eine richtige Einstellung zum Fußball. Wie überall gebe es auch bei RWE feste Regeln. „Wir behandeln die Spieler aber auch individuell nach ihrem Wesen, weil jeder eine andere Ansprache braucht“, sagt Schleinitz. Und eine Vorgabe gibt’s im NLZ an der Seumannstraße, an der ist nicht zu rütteln: „In der Kabine und auf dem Platz gibt es nur eine Sprache, und das ist Deutsch.“
Wird Frage nach Herkunft und familiären Wurzeln wieder relevant
Der Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft beschäftigt auch die Essener Amateurfußballer. Vor allem sorgen sich die Vereine, dass die Debatte sie in den Integrationsbemühungen zurückwirft und die Frage nach Herkunft und familiären Wurzeln wieder relevant wird.
„In den letzten Jahren ist in den Vereinen super gearbeitet worden“, sagt Issam Said. Der Trainer des Landesligisten VfB Frohnhausen berichtet, dass in seiner Mannschaft auch viele Spieler mit türkischen Wurzeln spielen – völlig reibungslos. Er hat kein Verständnis dafür, dass die Debatte um Özil dem DFB derart entglitten ist. „Mit so einer Aktion wird ganz viel in Frage gestellt. Der Rücktritt von Mesut Özil ist auch ein Schritt zurück in den Integrationsbemühungen.“ Rundumschlag nach mehrwöchigem Schweigen
Allerdings wird auch die Rolle Özils kritisch gesehen. Mit seinem Rundumschlag nach mehrwöchigem Schweigen werde er seiner Verantwortung nicht gerecht, heißt es von Vereinsvertretern. Vielmehr habe er dadurch eine Spaltung in der Gesellschaft gefördert.
Gerade Essener Fußballer mit Migrationshintergrund können aber Özil folgen, wenn er sagt, dass er sich nicht als Deutscher akzeptiert fühle. „Wenn etwas Negatives passiert, heißt es: ‚Der ist Deutsch-Türke‘‘, sagt Emre Tasci, Vorstandsmitglied bei Alemannia Essen, ehemals FC Alanya. „Man hat sich mittlerweile damit abgefunden, dass es diese Trennung gibt.“
Sportliche, politische und gesellschaftliche Punkte trennen
Tasci setzt sich mit seinem Klub dafür ein, dass Menschen aus allen Nationen zusammen Fußball spielen. Durch die Özil-Debatte, so befürchtet der Verein, könnte die Arbeit schwieriger werden und die Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen wieder voneinander entfernen. „Ich bin seit fünf Jahren hier im Verein. Aber jetzt war zum ersten Mal in unserer Whatsapp-Gruppe Politik ein Thema.“
Tasci plädiert dafür, sportliche, politische und gesellschaftliche Punkte in der Özil-Debatte voneinander zu trennen. Mit dem Erdogan-Foto müsse nicht jeder einverstanden sein, meint er: „Aber dass ein deutscher Nationalspieler wie Mesut Özil sagt, dass er Rassismus und Respektlosigkeit fühle, sollte uns Sorgen machen.